Der Konsum alkoholischer Getränke ist in China seit etwa vier- bis fünftausend Jahren nachgewiesen. Und obwohl es in manchen anderen Kulturen eine ebensolange Tradition alkoholischer Getränke gibt, kann man doch mit Recht sagen, daß keine andere Kultur auf der Welt - sei sie nun antik oder modern - eine so innige Verbindung mit den "goldenen Tropfen" eingegangen ist wie die chinesische.
Der Weingenuß war dabei nicht auf bestimmte gesellschaftliche Schichten oder soziale Gruppen beschränkt: er war allen "echten" Chinesen gemeinsam, vom Kaiser bis hinunter zum einfachen Arbeiter.
Seit der erste Becher köstlichen Weins in alten Zeiten gehoben wurde, waren die Auswirkungen des Genusses alkoholischer Getränke ebenso stetig wie weitreichend. Dynastien stiegen auf und zerfielen, je nachdem, wie stark dem Wein zugesprochen wurde, er gab den Anstoß zu Feldzügen und bestimmte deren Ausgang; sogar die Glanzlichter der literarischen und künstlerischen Tradition Chinas bezogen unschätzbare Anregungen aus seinem Schimmer.
Wenn man bedenkt, daß einige Völker des Westens wenig erstrebenswerte Schicksale hatten, weil sie dem Genuß von Alkohol verfallen waren, ist es kaum zu glauben, daß es in China anders gewesen war. Vielleicht ist es die chinesische Vorstellung der "goldenen Mitte", des Maßhaltens in allen Dingen, die den Alkohol in all den Jahrtausenden zu einem verbindenden und konstruktiven Bestandteil der chinesischen Kultur machte und seine zerstörerischen Eigenschaften im Zaum hielt.
Es liegt uns jedoch fern, zu behaupten, daß alles, was vom Wein herrührt, gut sei. Aber die "Sache im Becher", wie chinesische Dichter den Wein liebevoll nannten, hat unauslöschliche Spuren in der ältesten noch existierenden Kultur der Welt hinterlassen - ob nun gute oder schlechte, sei dahingestellt.
Es ist gewiß, daß zukünftige Generationen ihr Land ins Verderben stürzen werden, wenn sie dem Wein zusprechen. - Yü, sagenumwobener Gründer der chinesischen Hsia-Dynastie
Traditionellen chinesischen Überlieferungen zufolge reicht die Herstellung und der Konsum von Wein bis in vorgeschichtliche Zeiten zurück. Das chinesische Wort Chiu (酒), das wir hier mit "Wein" übersetzt haben, ist in Wirklichkeit ein Oberbegriff, der alle Getränke umfaßt, die Alkohol enthalten, und nicht nur, wie im westlichen Sprachgebrauch, solche, die aus Früchten hergestellt werden. Yao (堯) und Shun (舜), die beiden chinesischen Weisen des Altertums, die das Land vor 4200 Jahren regiert haben sollen, waren berühmt für ihre Trinkfestigkeit. Aber die erste Überlieferung, die von einer bestimmten Person berichtet, die Wein herstellte, nennt ein Mitglied einer Familie, die später das erste Herrschergeschlecht Chinas werden sollte. Es handelt sich um I Ti (儀狄), die Tochter des Yü (禹), der die Hsia-Dynastie begründete (diese Dynastie wird auf 2205-1766 v. Chr. datiert und, obwohl archäologisch nicht nachweisbar, als Chinas erste Dynastie betrachtet). Als I Ti dem Yü ihren Wein brachte, um ihn kosten zu lassen, fand dieser das Getränk sehr köstlich und war ohne Zweifel nach einigen Bechern ziemlich benebelt.
Eine Trinkschale aus der Yüan-Zeit mit rotem Blumenmuster. Zur Zeit der Mongolenherrschaft wurde großer Wert auf eine prachtvolle Ausschmückung des Weingeschirrs gelegt, und die Yüan-Kaiser tranken mit Vorliebe gar aus goldenen und silbernen Riesengefäßen.
Es mußte I Ti deshalb sehr überraschen, daß Yü das Getränk nicht mit anerkennenden Worten bedachte, sondern es gar verdammte. YÜ erkannte sowohl die Verlockungen des Weines als auch die Gefahren, die sein Genuß für seine Untertanen barg; er prophezeite deshalb, daß das Getränk eines Tages das Land ins Verderben stürzen würde.
Daher erließ er unverzüglich eine Verfügung, die zu Chinas erstem Alkoholverbot wurde: Obwohl die Herstellung von Wein noch immer gestattet war, wurde dessen Gebrauch auf Riten und Opfer beschränkt - alkoholische Getränke spielten im chinesischen Altertum in beiden Fällen eine sehr wichtige Rolle. Die Aufzeichnungen berichten auch, daß dieses Vorkommnis zu einer tiefen Entfremdung zwischen Yü und seiner Tochter führte.
Es ist schwer zu sagen, ob sich ein solches Ereignis tatsächlich zugetragen hat, denn alle Berichte aus der Hsia-Dynastie sind in späteren Zeiten nach mündlichen Überlieferungen verfaßt worden. Archäologische Funde zeigen jedoch, daß in China vor ungefähr viertausend Jahren, in der ausgehenden Jungsteinzeit, Wein hergestellt und getrunken wurde. Analysen der Überbleibsel von Tongefäßen weisen nach, daß einige dieser Gefäße ausschließlich zur Lagerung von Wein oder seinem Konsum gedient haben. Mangels schriftlicher Dokumente aus jener Zeit ist es leider nicht möglich, damalige Weinsorten und Trinksitten zu spezifizieren.
Über die Entwicklung des Weines in der auf die Hsia folgenden Shang-Dynastie (1766-1123 v. Chr.) ist wesentlich mehr bekannt. In den Inschriften auf Orakelknochen, der ältesten überlieferten chinesischen Schrift, finden sich viele Zeichen, die sich auf Wein und das Trinken von Wein beziehen.
Während der Shang- und der darauffolgenden Chou-Dynastie gewann der Gebrauch von Wein bei Ritualen und Opfern große Bedeutung. Die Gesellschaft der Shang-Zeit war polytheistisch, und Menschenopfer waren Bestandteil der damaligen Kulthandlungen. Es gab nicht nur sehr genaue Regeln dafür, welchen Wein man für eine bestimmte Kulthandlung verwenden sollte, sondern auch für das jeweils angemessene Weingefäß. In der Shang-Zeit war der Guß von Bronzegefäßen hochentwickelt, und aus Bronze war denn auch ein großer Teil der Kultgefäße. Aber auch Behältnisse aus Holz, Kürbissen, Ton und Lackwaren wurden benutzt; jedes einzelne Material war für spezifische religiöse und profane Zwecke bestimmt. Die Weine wurden bei religiösen Ritualen selten getrunken, sondern oft auf den Boden vor dem Altar gesprengt. Man verstand sich auf die Herstellung von verschiedenen Weinen für unterschiedliche offizielle oder private Anlässe.
"Nächtliches Fest unter Pflaumen- und Pfirsichblüten im Frühling", ein von einem Gedicht Li Po's angeregtes Bild des Ch'ing-Malers Leng Mei. "Nutze die Zeit!" war die Devise, und so ging man selbst nachts hinaus, um unter Laternen Wein zu trinken und Gedichte zu verfassen.
Die Gesellschaft der Shang-Zeit war feudalistisch, und der Gebrauch von Wein spielte eine wichtige Rolle in den rituellen Handlungen, die Bestandteil der Zeremonien zwischen dem König der Shang und den Fürsten der verschiedenen chinesischen Staaten waren. Auch in den Ritualen, die zwischen den Fürsten und ihren Ministern stattfanden, wurde Wein verwendet. Es wird berichtet, daß man bei solchen Anlässen kaum Gelegenheit hatte, sich zu betrinken, weil die Zeremonien ein Übermaß an rituellen Handlungen vorschrieben. So mußte man sich bei manchen Ritualen nach jedem Becher auf den Boden werfen und dergleichen mehr.
Während der Shang-Zeit kam auch der Weingenuß bei weniger offiziellen Anlässen auf, blieb aber weitgehend auf die aristokratischen Kreise beschränkt. Die Mehrzahl der gewöhnlichen Leute waren damals Sklaven und Bauern, die sich - wenn überhaupt - kaum je den Luxus eines Bechers Wein leisten konnten.
Trinkgelage wurden unter Adligen im Lauf der Zeit immer populärer und waren dann in der späten Shang-Dynastie zu einer Alltäglichkeit geworden. Schließlich trat genau das ein, wovor Yü ein paar tausend Jahre zuvor gewarnt hatte:
König Hsin, der letzte Herrscher der Shang-Dynastie, der unter dem Namen Shang Chou (商紂) Berühmtheit erlangte, war ein grausamer Autokrat, der seinen Untertanen gewaltige Steuern abpreßte, um den exzessiven Luxus seines Lebensstils zu finanzieren. Die orgiastischen Feste, die er veranstaltete, nahmen diejenigen Roms zu seinen schlimmsten Zeiten vorweg. Auf sie bezieht sich der chinesische Ausdruck Jou-lin Chiu-ch'ih (肉林酒池, "Wälder aus Fleisch und Seen aus Wein"): Shang Chou ließ nämlich zubereitetes Fleisch zu seiner Bequemlichkeit überall in seinem Palast aufhängen, und er füllte die riesigen königlichen Brunnen mit Wein anstelle von Wasser. Dieses Übermaß an Genußsucht führte schließlich zu einer Revolution, die vom Clan der Chou angeführt wurde: König Hsin wurde entthront und seine Dynastie ausgelöscht.
König Wu, der Begründer der neuen Chou-Dynastie (1122-256 v. Chr.) verkündete ganz unverblümt, daß sich die Shang-Dynastie durch hemmungsloses Weintrinken selbst zu Fall gebracht habe - und er erließ wiederum strenge Regeln für den Genuß von Wein bei nicht-rituellen Anlässen. Im Ritualwesen wurde aber weiterhin, wie in der Shang-Dynastie, Wein verwendet, und die damit zusammenhängenden Gebräuche sogar noch verfeinert. Berichte aus dieser Zeit erwähnen, daß zahlreiche Ämter geschaffen wurden, die mit der Verwaltung von Wein zu tun und außerdem darauf zu achten hatten, daß die Gesetze, die den Gebrauch von Wein regeln sollten, eingehalten wurden. Viele dieser Ämter hatte es früher nicht gegeben.
Der bekannteste unter den Brauern der Chou-Dynastie war Tu K'ang (杜康), dessen Name später zum Inbegriff des Weines wurde. Eine interessante Bemerkung finden wir im "Buch der Riten" (Li-chi 禮記), das der Chou-Dynastie zugeschrieben wird. Es wird dort lapidar erklärt, Wein sei das richtige Getränk für alte Leute und Rekonvaleszenten.
Dieser geschnitzte Pinselhalter aus Lack zeigt die "Sieben Weisen vom Bambushain", den ersten überlieferten Literatenkreis. Wie zahlreiche Anekdoten zeigen, waren einige seiner Mitglieder dem Wein in außergewöhnlichem Maße ergeben.
Obwohl das Los der einfachen Leute nun besser war als zu Zeiten der Shang-Dynastie, und selbst nach Aufhebung anfänglicher Restriktionen, war der Genuß von Wein noch immer nur wenigen vorbehalten. Da man damals die belebende Wirkung des Weins bei Krankheit oder Gebrechen des Alters als wohltuend empfand, blieb sein Genuß hauptsächlich auf diese beiden Fälle beschränkt. Es gab aber auch Ausnahmen, wie zum Beispiel an Feiertagen oder zu anderen besonderen Anlässen.
Das "Buch der Lieder" (Shih-ching 詩經), das ebenfalls der Chou-Dynastie zugeschrieben wird, enthält zahlreiche Passagen, die sich auf das Trinken von Wein beziehen (sie stammen wohl aus der späteren Chou-Zeit, als Wein schon leichter zu bekommen war).
In der zweiten Hälfte der Chou-Dynastie, die auch als die "Östliche Chou" bekannt ist, nahm der Niedergang des Feudalsystems seinen Lauf, und es kam zu Streitigkeiten um Macht- und Gebietsansprüche zwischen den zahlreichen Staaten, wodurch die zentrale Autorität des Chou-Königs untergraben wurde. Die Unruhen führten dazu, daß die überlieferten Riten vernachlässigt wurden - eine Tatsache, die Konfuzius, der zu jener Zeit lebte, oft ausdrücklich beklagte. Wein spielte jedoch noch immer eine wichtige Rolle bei Ritualen, insbesondere auf dem Gebiet zwischenstaatlicher Beziehungen:
Als das im Süden gelegene Ch'u, eines der mächtigeren Feudalreiche jener Zeit, eine Konferenz aller Staaten einberief, brachte der Vertreter von Lu den Berichten zufolge Wein, der etwas zu dünn war (dies deutet darauf hin, daß dieser Wein nicht zur besten Sorte gehörte). Wegen dieser Angelegenheit entbrannte ein Streit, der zur Folge hatte, daß Ch'u seine Invasionstruppen nach Lu entsandte. Der Staat Lu nahm ein grausiges Ende.
Abgesehen vom rituellen Verwendungszweck wurde das Trinken von Wein während der Zeit der Östlichen Chou zu einer ziemlich normalen Angelegenheit. Dabei spielten zwei Umstände eine maßgebende Rolle. Zum einen machte das bereits erwähnte Schwinden der zentralen Autorität des Chou-Königs die vereinten Bemühungen, den Weingenuß durch Reglements zu kontrollieren, zu einem immer schwierigeren Unterfangen. Zum anderen begann in der Chou-Zeit der Handel zu florieren, und es wurden zum ersten Mal Münzen als Zahlungsmittel verwendet. Das nunmehr breitere Warenangebot und das neue, sehr bequeme Zahlungsmittel waren ohne Zweifel wichtige Gründe für den vermehrten Weinkonsum jener Zeit.
Die Namen verschiedener begnadeter Trinker aus dieser Zeit sind der Nachwelt überliefert worden. Einer von ihnen war Herzog Huan (齊桓公), der Herrscher des Staates Ch'i. Zwischen ihm und seinem Kanzler Kuan Chung (管仲) gab es oft Reibereien, weil der Herzog soviel trank. Herzog Huan war jedoch in Wahrheit ein aufgeklärter Herrscher, der zu seiner Zeit sowohl für China als auch für seinen eigenen Staat viel Gutes bewirkte. Sein einziger Fehler war, daß seine Liebe zum Wein ihm oft strengen Tadel des zurückhaltenderen Kuan Chung einbrachte.
Einmal verlor der Herzog im Vollrausch seine Kopfbedeckung, die zu jener Zeit die Autorität eines Herrschers symbolisierte. Er blieb drei Tage lang den Besprechungen mit seinen Ministern fern, weil er den Tadel Kuan Chung's fürchtete. Kuan Chung kam schließlich selbst, um den Herzog zu sehen. Dieser äußerte ziemlich kleinlaut sein Bedauern über den Vorfall. Kuan Chung herrschte ihn an, Bedauern allein genüge nicht als Buße für ein solches Benehmen. Daraufhin ließ Huan die staatlichen Kornspeicher öffnen und Korn unter den einfachen Leuten verteilen. Außerdem vekündete er eine allgemeine Amnestie für die Gefangenen.
Ein anderes Mal gab Herzog Huan seinem Kanzler eine ziemliche Menge Wein zu trinken. Dieser trank jedoch nur ein klein wenig davon und schüttete den Rest auf den Boden. In jenen Tagen wurde es als außergewöhnliche Ehre angesehen, wenn man von einem Staatsoberhaupt persönlich Wein vorgesetzt bekam, und Herzog Huan ärgerte sich verständlicherweise sehr über ein solches Verhalten.
Kuan Chung aber antwortete ihm: "Der Genuß von Wein löst dem Trinker die Zunge. Ist ihm die Zunge gelöst, entschlüpfen ihm unschickliche Bemerkungen. Macht er aber unschickliche Bemerkungen, begibt er sich seiner Ehre. Euer ergebener Beamter glaubt, daß es besser ist, sich seines Weines als seiner Ehre zu begeben." Kuan Chung's Antwort machte Herzog Huan sprachlos.
In China, ebenso wie im Westen, lagert man manche Weinsorten einige Jahre, bevor sie getrunken werden, um ihren Geschmack reifen zu lassen. Es ist deshalb natürlich kein Wunder, daß der älteste Jahrgang, den man je gefunden hat, ebenfalls aus China stammt.
Die zugleich kraftvolle und elegante Kalligraphie des Sung-Dichters Su Tung-p'o. Su war ein mäßiger Trinker, aber seine Dichtungen sind voll von Anspielungen über die "Sache im Becher".
Als man in der Provinz Hupei das Grab eines Herrschers des Staates Chung-shan aus der Östlichen Chou-Zeit ausgrub, fand man darin einen großen Weinbehälter. An sich ist das kein ungewöhnlicher Fund in vorgeschichtlichen Gräbern. Als man den Behälter jedoch öffnete, befand sich darin eine klare Flüssigkeit, die ganz eindeutig den Geruch von Wein ausströmte. Und obwohl Alkohol eine sehr flüchtige Substanz ist, wiesen anschließende Analysen in der Flüssigkeit Alkohol nach. Man hatte den ältesten Wein der Welt gefunden - Jahrgang 4. Jahrhundert vor Christus!
Die Han-Dynastie (206 v. Chr. bis 220 n. Chr.) war im Vergleich zur Östlichen Chou-Zeit eine Epoche relativer Stabilität, in der vergleichsweise großer Wohlstand herrschte. Die Folge davon war ein starkes Bevölkerungswachstum. Allerdings nahmen die Militäraktionen gegen nicht-chinesische Nomadenstämme besonders unter der Herrschaft des fünften Han-Kaisers bis dahin noch nicht bekannte Formen an. Dadurch stiegen die Staatsausgaben außerordentlich an, was schließlich zu einer Errungenschaft in der Weinherstellung führte, die für die nächsten anderthalb Jahrtausende Bestand haben sollte: dem staatlichen Weinmonopol.
Nichtsdestoweniger waren jedoch auch zu Beginn der Han-Dynastie Anstrengungen unternommen worden, den Alkohol gesetzlich zu verbieten. Dieses Mal war es Hsiao Ho (蕭何), der Kanzler des ersten Han-Kaisers, der sich für ein generelles Verbot einsetzte. Die Geschichte der Alkoholprohibition in China ist ziemlich komplex, und es gab in allen chinesischen Dynastien zahlreiche Versuche zu ihrer Einführung (so scheiterte zum Beispiel der Versuch des ersten Kaisers der Yüan-Dynastie, 1271-1368, ein allgemeines Alkoholverbot durchzusetzen, trotz des Befehls, daß jedermann, der bei der Herstellung von Wein ergriffen würde, unverzüglich der Armee zu überstellen, sein Hab und Gut zu beschlagnahmen sei und seine Frauen und Konkubinen als Sklavinnen in den kaiserlichen Palast gebracht werden sollten.)
Hsiao Ho's Weinverbot war jedenfalls auch nicht mehr Erfolg beschieden. Hsiao Ho's Nachfolger, Ts'ao Shen (曹參), der selbst dafür bekannt war, ein Anhänger starker Getränke zu sein, hob das Verbot auf, weil er erkannt hatte, daß Wein in China zu populär geworden war, als daß er durch Verbote hätte aus der Welt geschafft werden können. Obwohl Wein bei Ritualen immer eine Rolle spielte, gerieten die meisten der aus der Hsia-, Shang- und Westlichen Chou-Dynastie stammenden Rituale, bei denen Wein verwendet wurde, während der Han-Dynastie in Vergessenheit. Der Genuß von Wein verlor allmählich seinen formellen Charakter. Wein wurde im Volk immer beliebter und war bald überall erhältlich. Man nannte ihn liebevoll Huan Po (歡伯, "Graf Heiterkeit"), und ein Schriftsteller aus jener Zeit rühmte ihm nach, "die Angst zu vertreiben und Glückseligkeit zu verschaffen".
Es ist also kein Wunder, daß die Steuereinnahmen immens waren, als zur Zeit der Herrschaft des Han-Kaisers Wu schließlich ein kaiserliches Weinmonopol eingeführt wurde. Die private Herstellung und der private Handel von Wein wurden verboten und Verstöße streng bestraft. Obwohl die neuen Gesetze im Volk wenig Anklang fanden, blieben sie doch über 1400 Jahre lang bestehen. Das kaiserliche Weinmonopol wurde erst in der Ming-Dynastie abgeschafft.
Nach der Han-Dynastie zerfiel China wieder für einige Jahrhunderte in viele Kleinstaaten. Eine interessante Anekdote aus der Zeit der "Drei Reiche" (220-280) zu Beginn dieser Periode berichtet, daß von den drei Staaten, die damals um die Macht kämpften(Wei 魏, Wu 吳 und Shu 蜀), nur der Staat Wu Alkohol gestattete.
Sun Ch'üan (孫權), der Herrscher des Staates Wu, war in der Tat durch und durch ein "Weinfanatiker". Er schickte seine Armee unter dem Oberkommando des berühmten Generals Kan Ning (甘寧 ) in den Kampf gegen die Streitkräfte des Staates Wei, der von Ts'ao Ts'ao (曹操) angeführt wurde (Ts'ao Ts'ao's Name ist jedem, der sich mit chinesischer Geschichte beschäftigt hat, geläufig). Sun Ch'üan brachte seinen Truppen persönlich Speisen und eine Ladung erstklassigen Weines ins Heerlager. Auf Veranlassung Kan Ning's trank die ganze Armee von diesem Wein und marschierte, nachdem sie bis in die späte Nacht hinein gezecht hatte, in gehobener Stimmung im Lager der Armee des Staates Wei ein. Die feindlichen Truppen wurden im Schlaf überrascht und völlig aufgerieben.
Obgleich in Ts'ao Ts'ao's Wei-Staat ein Alkoholverbot geherrscht haben soll, gibt es Gründe für die Annahme, daß Ts'ao Ts'ao selbst ein praktizierender Trinker war. In seinen Schriften findet sich ein Gedicht, in dem er klagt: "Die Sorgen zu lösen vermag nur Tu K'ang" (eine Metapher für Wein, nach dem legendären Weinhersteller) .
Ende des 6. Jahrhunderts wurde China unter der Sui-Dynastie wieder geeint. Die folgenden Dynastien der T'ang und der Sung stellen, eine fünfzigjährige Zwischenzeit ausgenommen, denjenigen Abschnitt der chinesischen Geschichte dar, in dem das Reich am stabilsten und wohlhabendsten war.
Der allgemeine Wohlstand jener Zeit schlug sich natürlich im Lebensstil des Volkes nieder. Unterhaltung und Künste erreichten einen Höhepunkt, und man bezeichnet diese Zeit auch als das "Goldene Zeitalter" von Literatur und Poesie. Der Genuß von Wein war untrennbar mit der Unterhaltung und den Künsten verbunden. Auf musikalischen Veranstaltungen zum Beispiel wurde viel getrunken, und es ging gewöhnlich sehr ausgelassen zu. Die Einheit von Wein, Literatur und Poesie, die in der Zeit der Reichsteilung gewachsen war, erreichte in den Dynastien T'ang und Sung einen unvergleichlichen Höhepunkt (hierüber mehr am Ende dieses Artikels).
In dieser bemerkenswerten Zeit wuchs die Zahl der in China hergestellten Weinsorten, weil über die Seidenstraße neue Kenntnisse über die Weinproduktion ins Land kamen. Es erübrigt sich zu sagen, daß das Staatssäckel durch die Einkünfte aus dem vermehrten Weinverkauf erheblich aufgefüllt wurde.
Auch in dieser Epoche fehlte es nicht an einem politischen Drama, das mit Wein zu tun hatte: Als der erste Sung-Kaiser den Thron bestieg, befürchtete einer seiner hohen Minister ein mögliches Komplott innerhalb der verschiedenen militärischen Einheiten, die noch nicht unter ein zentrales Kommando gebracht worden waren. Er schlug daher vor, die Generäle dieser Einheiten ihrer Posten zu entheben, damit von der Zentrale eine direkte Kontrolle ausgeübt werden könnte.
Kaiser T'ai-tsu jedoch war unschlüssig, wie das Problem anzugehen war, denn die betreffenden Kommandeure waren allesamt tapfer und loyal gewesen und hatten ein Mitverdienst an der Eroberung des Reiches durch die Sung.
Der Kaiser rief die Generäle zu einem Bankett zusammen und erklärte, es seien nicht sie, denen er mißtraue, sondern die ihnen untergebenen Offiziere. Hier begannen sich die Generäle langsam unbehaglich zu fühlen; sie fielen vor dem Kaiser auf die Knie und baten ihn um einen Lösungsvorschlag. In Wahrheit war das eine Bitte um Gnade, denn der Kaiser hätte sie einfach hinrichten können und wäre des Problems damit ein für allemal ledig gewesen.
Doch Kaiser T'ai-tsu war nicht so hartherzig: er erklärte, es sei für sie alle das Beste, ihre Posten aufzugeben und ein bequemes Leben im Ruhestand zu führen, das er, der Kaiser, ihnen verschaffen werde. Damit hob er seinen Weinbecher und fragte sie, was sie von dieser Idee hielten.
Allen wurde klar, daß sie gerade einem möglichen Tode entgangen waren, und sie hoben ihre Gläser und antworteten mit einem dröhnenden, die ganze Halle erfüllenden "Ja!". Das Ereignis war entscheidend für die Zentralisierung der militärischen Macht durch den Kaiser, womit eine immanente Bedrohung seiner Dynastie abgewendet wurde. Auf diese berühmte Episode der chinesischen Geschichte spielt ein populäres Sprichwort an, welches lautet: "Über einem Becher Wein sein militärisches Kommando aufgeben."
In der darauffolgenden Yüan-Dynastie (1271-1368) wurde China von den Mongolen regiert, die das Land vom Norden her erobert hatten. Trotz eines Alkoholverbots, das zu Beginn der neuen Dynastie erlassen wurde - und das nicht lange währte - erwiesen sich die Mongolen, und mit ihnen ihre chinesischen Untertanen, als noch eifrigere Zecher als ihre Vorgänger. Marco Polo beschreibt den zur Zeit der Yüan-Dynastie hergestellten Wein folgendermaßen: "Ein Großteil der Einwohner der Provinz Cathay genießt einen Wein, der aus Reis hergestellt wird und mit einer Vielzahl von Gewürzen und Kräutern vermengt wird. Dieses Getränk, das man wohl als eine Art Wein bezeichnen könnte, ist von so angenehmem Geschmack, daß sie nach nichts besserem verlangen. Es ist klar, hell und mundet vorzüglich. Nimmt man es sehr heiß zu sich, macht es einen schneller betrunken als jeder andere Wein."
An anderer Stelle beschreibt er, wie kunstvoll die Weingefäße des Yüan-Kaisers aussahen: "In der Mitte der Halle, dort, wo der Großkhan an seiner Tafel sitzt, steht ein herrliches Möbelstück in Form einer viereckigen Truhe, an jeder Seite drei Schritt lang, mit wunderbaren Tierschnitzereien verziert und ganz und gar vergoldet. Innen ist es hohl, denn es hat den Zweck, eine riesige Vase aus purem Gold aufzunehmen, die viele Gallonen fassen kann. Außerdem befinden sich darin die Trinkbecher und Kannen Seiner Majestät, mit denen die Getränke serviert werden. Viele davon sind mit herrlichem Blattgold belegt. Sie sind so groß, daß, wenn sie mit Wein oder anderen Getränken gefüllt werden, die Menge für acht oder zehn Personen ausreicht."
Schenkt man Berichten aus jener Zeit Glauben, so waren die Mongolenherrscher ganz und gar hemmungslose Trinker. Berücksichtigt man die Tatsache, daß zu jener Zeit zum ersten Mal destillierte alkoholische Getränke hergestellt wurden, so erscheint es nicht übertrieben, wenn mitgeteilt wird, daß viele von ihnen an den Folgen übermäßigen Alkoholgenusses starben.
Die meisten ihrer Gelage, deren Größe und Ausmaß enorm waren, endeten mit der völligen Betrunkenheit aller Beteiligten. Ein zeitgenössischer Bericht beschreibt das Weintrinken auf einem mongolischen Bankett folgendermaßen: "Wenn der Hausherr sieht, daß sein Gast sehr betrunken ist und anfängt, sich sehr unziemlich zu benehmen, indem er sich erbricht und besinnungslos auf dem Boden liegt, erklärt er sehr erfreut: 'Durch ihre Trunkenheit zeigen mir meine Gäste, daß wir von gleichem Schlage sind.'"
Kein Wunder also, daß die Yüan-Zeit nur 98 Jahre dauerte.
Während der Ming-Dynastie wurde China wieder von Chinesen regiert. Um die Steuerlast früherer Zeiten etwas zu erleichtern, hob die Regierung ihr Monopol der Weinherstellung und des Handels mit Wein auf, das fast 1500 Jahre lang bestanden hatte.
Früher, vor Einführung des Alkoholmonopols der Han, hatten viele Chinesen ihren eigenen Wein hergestellt. Von Konfuzius ist der Ausspruch überliefert, er weigere sich, Wein zu trinken, der auf dem Markt gekauft sei. Doch während des 1400 Jahre bestehenden Monopols blieb gewöhnlichen Leuten kaum eine andere Wahl.
Mit der Aufhebung des Weinmonopols zu Beginn der Ming-Dynastie nun kam das "Familienweinfaß" wieder in Mode. Viele neue Weinarten fanden so landauf, landab ihren Weg in die chinesischen Weinbecher. Einige von ihnen waren regionale Spezialitäten, die nur in ganz bestimmten chinesischen Provinzen zu finden waren. Die Rezepte wieder anderer Weine waren gehüteter Familienbesitz, der von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Diese private Weinherstellung sorgte natürlich für gesteigerten Weingenuß in ganz China.
In der darauffolgenden Ch'ing-Dynastie (1644-1911) befand sich China wiederum unter nicht-chinesischer Herrschaft. Und die neuen Herrscher, die Mandschu, hatten ebenso wie die Mongolen vor ihnen eine Vorliebe für Wein. Es scheint, daß die Popularität von Trinkspielen in dieser Zeit gegenüber der Ming-Dynastie stark zunahm.
Einige zeitgenössische Schriftsteller haben behauptet, daß es in China viel weniger verschiedene Weinsorten gebe als im Westen, und daß es den Chinesen ziemlich gleichgültig sei, was sie trinken, solange es überhaupt etwas zu trinken gebe. Wie auch immer der gegenwärtige Stand des Weingenusses in China aussehen mag, es gibt genügend Beweise dafür, daß solche Behauptungen zumindest auf die Vergangenheit Chinas nicht zutreffen. Nicht nur gab es damals in jeder Region eigene, spezielle Weinsorten, die man nochmals nach ihrem Herkunftsort innerhalb der Provinz selbst unterschied, sondern es existierten auch sehr spezifische Kriterien bezüglich der Qualität der Weine - Kriterien, auf die der Weinkenner peinlich genau achtete.
In China unterscheidet man, anders als im Westen, alkoholische Getränke nicht nach ihrem Alkoholgehalt. Das chinesische Wort für "Wein" bezeichnet alle Getränke, die Alkohol enthalten. Es gibt aber Begriffe, die sich auf andere Eigentümlichkeiten von Alkoholika beziehen. So wird zum Beispiel unterschieden, ob das Getränk gefiltert, klar, süß oder dickflüssig ist, ob es aus Hirse oder Reis hergestellt wird, ob es weiß oder von grünlicher Farbe ist, oder ob es bei Ritualen verwendet wird oder nicht, um nur ein paar zu nennen. Viele der Begriffe zur genaueren Kennzeichnung einer Weinsorte stammen aus dem chinesischen Altertum. Eine umfassende Arbeit über diese Bezeichnungen würde zeigen, daß die Klassifikationen in China weit umfangreicher sind als alle je im Westen verwendeten Begriffe.
Trotz solcher Vielfalt der Namen waren die Techniken der Weinherstellung im Grunde alle sehr ähnlich.
Man gab vergorene Kuchen zu einer Maische aus Getreide hinzu und ließ das Ganze eine bestimmte Zeitlang gären. Vor der T'ang-Zeit wurde ausschließlich Getreide verwendet, weil Trauben vor dieser Zeit in China noch nicht bekannt waren. Erst ab der Yüan-Zeit wurden dann manche Weinsorten nach der Gärung noch destilliert.
Im China des Altertums diente am häufigsten Hirse zur Weinproduktion, während später Reis, Klebreis und andere Feldfrüchte Verwendung fanden. Selbstverständlich mußte den einzelnen Stadien der Herstellung genaue Beachtung geschenkt werden, etwa, wie lange das Getreide gedämpft wurde, bevor es dem Gärungsmittel beigemischt wurde, und besonders während der Vermischung selbst, bevor beide im Faß eingesiegelt wurden. Doch war die Technik nicht so schwierig, als daß sie nicht auch der gewöhnliche Chinese hätte anwenden können, als private Alkoholproduktion gestattet war. In der Tat wurden von der Ming-Dynastie an manche berühmten Weine ausschließlich zu Hause hergestellt und nie öffentlich verkauft.
Zwei Beispiele dafür sind Nü-erh-hung (女兒紅) und Hua-tiao (花雕). Nü-erh-hung, was wörtlich "Die Tochter in Rot" bedeutet, war ein Wein, den man ansetzte, wenn der Familie eine Tochter geboren wurde, worauf er so lange in der Erde gelagert wurde, bis die Hochzeit der Tochter heranrückte (bei der sie Rot tragen würde). Dann grub man das Faß wieder aus, und der Wein wurde dazu verwendet, die Hochzeitsgäste zu bewirten.
Ähnlich verhielt es sich mit dem Hua-tiao ("Geschnitzte Blumen"). Manche Familien benutzten für den Wein, den sie bis zur Hochzeit ihrer Tochter vergruben, überreich geschmückte Weinbehälter, daher der Name. Diese Art von Wein war ein Huang-chiu (黃酒, "gelber Wein"), eine der beiden Hauptkategorien, in die chinesische Weine eingeteilt werden; die andere lautet Pai-chiu (白酒, "weißer Wein"). Der erstgenannte war von tiefem Bernsteingelb, enthielt etwa 15 Prozent Alkohol und wurde vorwiegend in Südchina hergestellt. Der letztere war von klarer Farbe, hatte einen Alkoholgehalt von etwa 40-60 Prozent und war hauptsächlich ein nordchinesiches Produkt.
Die Liste der unterschiedlichen Weinsorten in China kann, je nachdem, wieviele Quellen man heranzieht, sehr lang sein. Das Chiu-shih (酒史, "Geschichte des Weines") zum Beispiel, das während der Ming-Dynastie verfaßt wurde, nennt über fünfzig verschiedene Arten aus allen Teilen des Landes, von denen einige sehr bekannt, andere ziemlich ausgefallen sind. Unter ihnen befinden sich so exotische Weine wie Schlangenwein, Wein aus abgefallenen Blättern des Maulbeerbaumes, Wein aus Pilzen usw. Abhandlungen aus der T'ang-Dynastie waren noch umfangreicher. In ihnen werden zum Beispiel Gebräue wie Ingwerwein, Granatapfelwein, Bambusblattwein, Chrysanthemenwein neben solchen erwähnt, die mit Honig, Safran etc. versetzt wurden. Viele dieser Weine werden heute freilich nicht mehr hergestellt, weil die entsprechenden Rezepte nicht überliefert sind.
Es gab auch Alkoholika für ganz bestimmte Verwendungszwecke, wie zum Beispiel Medizinweine. Die "Materia medica" (本草綱目), ein pharmazeutisches Kompendium aus der Ming-Zeit, führt 66 verschiedene Arten von ihnen auf. Solche Gebräue, die entweder hergestellt wurden, indem man chinesische Medizin zusammen mit dem Wein im Faß ansetzte oder aber Heilpflanzen für eine bestimmte Zeit in bereits fermentierten Wein einlegte, konnten angeblich solche Krankheiten wie Gicht, Bluthochdruck, Anämie und andere heilen oder ihnen vorbeugen. Ein Beispiel dafür ist Ginsengwein, der gewonnen wird, indem man eine Ginsengwurzel für einige Monate in Weißwein einlegt. Er wird heute noch als allgemeines Heil- und Stärkungsmittel angewandt.
Der ungewöhnlichste Medizinwein war der sogenannte T'u-su-chiu (屠蘇酒); seine Herstellungsmethode galt als die sorgsam gehütete Erfindung eines berühmten Arztes aus der Zeit der Drei Reiche, Hua To (華陀). Angeblich konnte er alle Krankheiten und krankheitserregenden Elemente in jeder Familie vernichten, die ihn in einer sorgfältig vorgeschriebenen Weise einnahm. Unter anderem mußte man dabei sieben verschiedene Arten chinesischer Medizin und 14 rote Bohnen zusammen in einem kleinen Stoffsack verschließen, der dann am Neujahrsabend an den Grund des Familienbrunnens herabgelassen wurde. Am Neujahrstag holte man den Medizinbeutel wieder herauf und kochte ihn in weißem Wein. Jedes Familienmitglied, ob jung oder alt, trank daraufhin von dem Wein, und der Medizinbeutel wurde wieder in den Brunnen gelegt. Wenn man danach ein Jahr lang von dem Brunnenwasser getrunken hatte, war man, so wurde angenommen, das ganze Leben lang gegen Krankheiten geschützt. Leider sind der Nachwelt keine Zeugnisse von der Wirkung des obengenannten Weines auf diejenigen, die ihn konsumierten, überliefert.
Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß der laut Überlieferung wirkungsvollste chinesische Wein der in der vor-T'ang-zeitlichen literarischen Sammlung Sou-shen-chi (搜神記) erwähnte "Tausend-Tage-Wein" ist. Er wurde von einem gewissen Ti Hsi (狄稀) hergestellt, und ein Becher davon soll ausgereicht haben, um einen Mann für tausend Tage betrunken zu machen.
Eine Geschichte berichtet, daß einer der großen Trinker aus Ti Hsi's Zeit Liu Hsüan-shih (劉玄石) war. Als letzterer gerade einmal durch Ti Hsi's Heimatdorf kam, beschloß Liu, ihn zu besuchen und selbst zu sehen, ob an dem Gerücht, Ti Hsi habe einen ganz besonders starken Wein hergestellt, etwas Wahres sei. Erst weigerte sich Ti Hsi, ihm von dem Wein zu geben, unter dem Vorwand, er sei noch nicht fertig. Doch Liu insistierte, und Ti Hsi gab schließlich nach und brachte ihm einen Becher.
Nachdem er ihn in einem Zug geleert hatte, lobte Liu den herrlichen Geschmack des Weins und verlangte nach mehr. Hier blieb Ti Hsi fest in seiner Weigerung und schickte Liu nach Hause. Kurz bevor er sein Haus erreicht hatte, begann Liu sich ein wenig seltsam zu fühlen, und als er angekommen war, fiel er rasch in einen besinnungslosen Rauschzustand, der allen äußeren Anzeichen nach dem Tode glich. Als er nach einigen Tagen immer noch nicht zu sich gekommen war, hielt ihn seine Familie für tot und begrub ihn mit allen gebührenden Zeremonien.
Fast drei Jahre später traf es sich, daß Ti Hsi, der nichts von Liu's Unglück gehört hatte, gerade in der Gegend von Liu's früherem Wohnhaus war und beschloß, bei ihm vorbeizuschauen. Man berichtete ihm, daß sein Freund Hsüan-shih vor fast drei Jahren in Besinnungslosigkeit verfallen und gestorben war. Ti Hsi schlug sich auf die Schenkel und rief aus: "Das war wieder einmal mein Wein!"
Ti Hsi berichtete nun, wie Liu Hsüan-shih darauf bestanden hatte, von dem Tausend-Tage-Wein zu probieren. Und als er auf den Kalender blickte, stellte er fest, daß seither geau tausend Tage vergangen waren. Er drängte die Familie, ihn augenblicklich zu Liu's Grab zu begleiten.
Als sie dort ankamen, sahen sie Dampf von der Spitze des Grabhügels aufsteigen. Rasch begannen sie zu graben und hatten Liu bald freigelegt, der sich daraufhin aufsetzte, so quicklebendig wie immer.
Seine Familie war sprachlos vor Schrecken, aber Liu rief aus: "Großartig! Großartig! Was war das bloß für ein Wein, der mich mit einem Becher schon so betrunken machen konnte?! Übrigens, was für ein Tag ist heute?"
Als seine Familienmitglieder das hörten, brachen sie alle in lautes Gelächter aus. Doch der Weingeruch in Liu's Atem war so stark, daß die ganze Familie betrunken zu Boden stürzte und drei Monate lang besinnungslos blieb.
Zu den bekannteren chinesischen Weinen, die heute getrunken werden, gehört der feurige Mao-t'ai (茅臺) aus der Provinz Kueichou, der Fen-chiu (汾酒) aus Shanhsi, der Ta-ch'ü (大麴) aus Szechuan und der Shao-hsing (紹興) aus Chekiang. Was die Qualitätskriterien von Weinen betrifft, so werden sie im "Buch des Weines" aus der Sung-Zeit wie folgt festgelegt: "Als besten Wein betrachtet man denjenigen von klarer Farbe und sehr vollem Geschmack. Er wird als der 'Heilige unter den Weinen' bezeichnet. Nach ihm kommt jener Wein, dessen Farbe golden und dessen Geschmack rund und voll, aber etwas bitter ist. Diesen nennt man den 'Weisen unter den Weinen'. Der schlechteste Wein ist von dunkler Farbe und sauer im Geschmack. Er wird der 'Narr unter den Weinen' genannt".
Es ist offensichtlich, daß diese Kriterien nicht in jedem Fall gültig sind oder gar der Weisheit letzten Schluß hinsichtlich des chinesischen Weingeschmacks darstellen, doch geben sie uns eine ungefähre Vorstellung davon.
Anders als die Weine im Westen, die oft gekühlt getrunken werden, erwärmt man in China die Weine normalerweise oder trinkt sie bei Zimmertemperatur. Dies wurde nicht nur als unabdingbar für den richtigen Geschmack betrachtet, es galt auch als gsundheitsschädlich, kalte alkoholische Getränke zu sich zu nehmen.
Einzig beim Wein ist keine Grenze gesetzt. Es ist aber nicht gut, über die Schicklichkeitsgrenze hinaus zu trinken. - Konfuzius
Der Konfuzianismus betont die Mäßigung - das Vermeiden des Übermaßes - im Lebenswandel und bei allen Angelegenheiten. Die Ansichten der chinesischen Mediziner im Altertum über den Konsum von Wein werden von der modernen Forschung bestätigt: Der mäßige Genuß von Wein ist der Gesundheit zuträglich, exzessives Trinken aber kann zu einer großen Zahl von Krankheiten führen. In der klassischen chinesischen Medizin wurde Wein sowohl selbst als Heilmittel eingesetzt als auch bei der Zubereitung und Verabreichung von anderen Heilmitteln verwendet. Tatsächlich enthält das Zeichen für das Wort I (醫, "Krankheiten heilen") den Bestandteil "Alkohol".
Die bereits erwähnte "Materia medica" aus der Ming-Zeit sagt über den Wein: "Sein Geschmack ist süß und scharf, seiner Natur nach ist er heiß und giftig (wie viele Medizinen). Er sollte verabreicht werden, um die Wirkung von Medikamenten zu steigern, gefährliche Einflüsse zu bekämpfen, den Kreislauf anzuregen, den Verdauungstrakt zu stärken, die Gesichtsfarbe aufzufrischen etc."
Die meisten medizinischen Schriften in China verdammen den übermäßigen Genuß von Alkohol. "Exzessiver Alkoholkonsum schädigt das Verdauungssystem, löst das Knochenmark auf, schwächt die Muskeln, beeinträchtigt den Geist und verkürzt das Leben."
Die früheste medizinische Schrift Chinas, "Der Klassiker des Gelben Kaisers über innere Medizin" (黃帝內經), warnt vor einer erheblichen Verkürzung der Lebenszeit durch unmäßigen Alkoholgenuß. Auch hier wird die traditionelle Auffassung von der modernen Wissenschaft bestätigt, die nachgewiesen hat, daß chronische Trinker von solchen Leiden wie Geschwüren, Magenkrebs, Bluthochdruck und Lebererkrankungen befallen werden.
Eine andere interessante Beobachtung wird in dieser Schrift ebenfalls erwähnt: "Es ist höchst verderblich, wenn man häufig in betrunkenem Zustand den Geschlechtsverkehr vollzieht." Zwar wird hierfür keine Begründung gegeben, doch haben moderne Forschungen in der Tat gezeigt, daß starker Alkoholgenuß die Samenzellen schädigen kann und daß unter diesen Umständen gezeugte Kinder häufig geistige Behinderungen aufweisen.
Der Dichter T'ao Yüan-ming (372-427), vielleicht Chinas hingebungsvollster Trinker, hatte insgesamt fünf Söhne von zwei Frauen. Und seiner eigenen literarischen Brillanz zum Trotz fand er seine Söhne ziemlich unintelligent. In einem seiner Gedichte stellte er fest, daß sie keine literarischen Interessen hätten, sondern dumm und faul seien. Da sich T'ao Yüan-ming bemühte, so oft wie möglich betrunken zu sein, scheint es nur zu wahrscheinlich, daß er selbst dafür verantwortlich zu machen ist. "Wenn einem das Schicksal solche Söhne geschenkt hat", erklärt er, "was bleibt einem da anderes als die 'Sache im Becher'?"
Kein Festmahl ist vollkommen ohne Wein. - Chinesisches Sprichwort
Wahrscheinlich in keinem anderen Land der Welt spielt der Wein eine so große Rolle im sozialen Leben wie in China - zumindest was die letzten Jahrhunderte angeht. Wo immer sich Chinesen zu geselligem Beisammensein zusammenfinden, sei es mit Freunden zuhause oder in der Öffentlichkeit: wenn Speisen gereicht werden, darf auch der Wein nicht fehlen.
Häufig ist der Wein selbst Anlaß der Zusammenkunft. In der Vergangenheit erfreute sich der Wein sowohl bei Treffen in Literatenzirkeln wie auch bei den Festivitäten des gemeinen Volkes allgemeiner Beliebtheit.
Lin Yutang bemerkte einmal, die traditionellen chinesischen Trinkgelage seien, was die Lautstärke anbelangt, nicht von Sportveranstaltungen zu unterscheiden - jeder, der einmal daran teilgenommen hat, wird ihm darin beipflichten. Diese Veranstaltungen sind für Schüchterne sicher nicht der richtige Ort. Sie gewähren, unterstützt von der stimulierenden, enthemmenden Wirkung des Alkohols, Gelegenheit, vorübergehend in einer berauschenden Atmosphäre allgemeiner Kameraderie die Anforderungen und die Starrheit der sozialen Strukturen des Alltags zu vergessen.
In China gibt es den Begriff Chiu-jou P'eng-yu (酒肉朋友), den man grob mit "Wein-und-Fleisch-Freund" übersetzen könnte. Auch heute noch ist es unter Bekannten, die sich vielleicht zweimal im Jahr sehen, üblich, sich bei ein paar Flaschen Wein zu treffen und sich nach ein paar Gläsern und einigen kulinarischen Spezialitäten wie Blutsbrüder in den Armen zu liegen. Unter Leuten, die sich nie zuvor gesehen haben, kommt es häufig vor, daß sie sich wie alte Freunde benehmen, sobald sie angefangen haben, Alkohol zu trinken. Wenn sie sich später einmal auf der Straße begegnen, werden sie dann mit kaum mehr als einem Kopfnicken voneinander Notiz nehmen. Urteilt man mit westlichen Maßstäben, mag ein solches Verhalten vielleicht etwas unaufrichtig erscheinen, in Wirklichkeit aber ist es Teil der Magie, die für die Chinesen vom Wein ausgeht.
Chinesische Weingelage sind auf keinen Fall Angelegenheiten, die man im Vorübergehen erledigt. Teller mit Speisen werden einer nach dem anderen gereicht, und man erhebt immer wieder die Gläser und prostet sich zu. Die Tische bei chinesischen Banketten sind gewöhnlich rund und bieten Platz für etwa 10-12 Personen. Es kann sein, daß an ein und demselben Tisch gleichzeitig vier oder fünf verschiedene Gespräche geführt werden. Drei oder vier solcher Tische bei einem Trinkgelage, nahe aneinanderstehend, produzieren jenes gedämpfte Tosen, das Lin Yutang mit einer Sportveranstaltung vergleicht.
In jedem beliebigen Moment kann jemand am Tisch sein Weinglas erheben und einer oder mehreren Personen am Tisch zuprosten. Die entsprechende Person antwortet natürlich, indem auch sie ihr Glas ergreift und trinkt. In vergangenen Zeiten galt es in China als Zeichen guter Manieren, dabei den Becher und sein Zum-Munde-Führen mit einem Ärmel des Gewandes zu verdecken.
Wenn alle genug gegessen haben, wendet man sich ausschließlich dem Wein zu. Gewöhnlich beginnt man nun, eine Reihe von Trinkspielen zu spielen, die immer neue Anlässe bieten, zum Glas zu greifen. Je nach Bildungsgrad der Anwesenden können diese auch eine Reihe von Wortspielen umfassen.
Das einfachste und und vielleicht am weitesten verbreitete Trinkspiel ist Hua-ch'üan, das mit zwei Teilnehmern gespielt wird. Jeder von ihnen streckt null bis fünf Finger aus, wobei beide gleichzeitig die geschätzte Gesamtzahl der ausgestreckten Finger rufen. Die Prozedur wird so lange wiederholt, bis einer von ihnen richtig geraten hat, und der andere muß zur "Strafe" ein kleines Glas Wein austrinken. Erfahrene Spieler legen dabei ein atemberaubendes Tempo vor, und der Lärm ihrer Rufe steigert sich nach und nach bis zum Brüllen. Beschreibungen solcher Gelage finden sich in erstaunlicher Detailliertheit in Romanen der Ming- und Ch'ing-Zeit, wie Hung-lou-meng (紅樓夢, "Der Traum der Roten Kammer") oder Chin-p'ing-mei (金瓶梅, "Kin Ping Meh").
Obgleich es nicht ungewöhnlich war, daß sich die Familie und Freunde zu Hause zum Trinken versammelten, waren auch Weinhäuser äußerst beliebte Orte, um die ausgedörrte Kehle zu erfrischen, und in den größeren Städten Chinas fanden sie sich in jeder Größe und für jeden nur denkbaren Geschmack.
Kleine Schenken gaben den Wein oft in Zinnkrügen aus, die vor den Augen der Kunden aus großen Fässern vollgeschöpft wurden. Solche kleineren Lokale boten gewöhnlich keine kulinarischen Besonderheiten zum Wein an außer einigen kleinen Gerichten, die im Chinesischen als Hsia-chiu-ts'ai (下酒菜), "Gerichte zum Wein-Herunterkippen") bekannt sind.
Chinesen trinken fast nie, ohne dabei einige kleine Gerichte zu essen; eine Sitte, die bis in die Han-Zeit zurückverfolgt werden kann. In manchen Lokalen war nur eine Sorte von Wein erhältlich, und der Eintretende gab lediglich die gewünschte Menge (nach Gewicht übrigens, nicht nach Volumen oder der Anzahl der Becher) und Zahl der Beigerichte an.
Da das Essen in solchen Schenken nicht immer unbedingt das allerbeste war, wurde es als akzeptabel angesehen, sein eigenes Essen mitzubringen oder es an einem der kleinen Läden zu kaufen, deren Speisen speziell für den Verzehr in den nahegelegenen Schenken gedacht war.
Liest man dagegen Beschreibungen der größten und reichsten unter den Weinschenken, so verschlägt es einem den Atem. Viele der Erster-Klasse-Weinhäuser in der Sung-Hauptstadt Kaifeng waren früher Beamtenresidenzen gewesen, die man übernommen und gastronomischen Zwecken zugeführt hatte. Manche verfügten über mehr als hundert separate Räume zur Bewirtung ihrer Gäste, und ihre dekorative Ausschmückung dürfte nicht sehr weit von der des Kaiserpalastes entfernt gewesen sein.
Weinkrüge und Trinkservice aus purem Silber und Gold standen dem Kunden zur Verfügung, falls er danach verlangte und sein Portemonnaie es ihm erlaubte. Manche Lokale boten eine Auswahl von Hunderten erstklassiger Gerichte und die besten Weine aus ganz China an.
Gewöhnlich waren diese Etablissements mehr als nur Orte zum Essen und Trinken. Der Begriff "Weinhaus" umfaßte damals auch Freudenhäuser, wo, wer Lust hatte, sich sowohl in weiblicher Begleitung vergnügen als auch sich den Genüssen von Essen und Wein hingeben konnte - für Stunden oder auch für ganze Tage, ganz wie es ihm beliebte.
Als Marco Polo in der darauffolgenden Yüan-Zeit China besuchte, standen viele dieser Etablissements noch immer in voller Blüte, besonders in Hangchou, der Hauptstadt der Südlichen Sung. Und obgleich er pflichteifrig die Dekadenz solch ungezügelter Vergnügungssucht beklagt, schwingt in seinen Kommentaren doch auch eine gewisse Bewunderung für die Fähigkeit der Chinesen zum Lebensgenuß mit.
Für die Poesie, die Malerei und die Kalligraphie sind zwei Flüssigkeiten entscheidend: Tinte und Wein. - Lin Yutang
Seine höchste und edelste Verbindung ging der Wein mit der chinesischen Literatur ein. Es wäre vielleicht ein bißchen ungerecht, zu behaupten, die chinesichen Literaten hätten ohne Wein nichts zustandegebracht. Es ist aber anzunehmen, daß ohne ihn die Werke chinesischer Schriftsteller viel weniger lebendig und ergreifend wären.
Von der Wei-Chin-Periode nach dem Ende der Han-Dynastie an bis in die heutige Zeit waren und sind die chinesischen Gelehrten und Künstler von Rang alle Liebhaber des Weines. Ob in der Abgeschiedenheit des Studierzimmers, im Kreise auserwählter Freunde, oder bei Zusammenkünften in Literatenkreisen: ein Becher Weines war immer schnell zur Hand.
Nicht alle von ihnen waren harte Trinker: einige der besten, wie der Sung-Dichter Su Tung-p'o (蘇東坡), besaßen zwar das, was Lin Yutang als "Gefühl für den Wein" bezeichnet, aber keine wirkliche Trinkfestigkeit. Doch trotz seiner Mäßigkeit im Trinken sind Dichtung und Prosa Su Tung-p'o's gespickt mit Bemerkungen über den Wein.
T'ao Yüan-ming gilt als der bedeutendste unter den frühen Poeten Chinas. In mehr als der Hälfte seiner Werke wird Wein direkt oder indirekt erwähnt. Es scheint, daß nirgendwo sonst Kunst und Literatur ihm soviel Anregungen verdanken wie in China, wo er ein Erbe hinterlassen hat, das heute noch so lebendig ist wie in vergangenen Tagen.
Über die erste uns überlieferte Gruppe von Weintrinkern, die "Sieben Weisen vom Bambushain", findet sich detailliertes Material in verschiedenen literarischen Werken seit dem 4. Jahrhundert. Der Bambus ist für den Literaten in China immer schon ein Symbol von großer Bedeutung gewesen; er repräsentiert den höchsten Grad moralischen Verhaltens und menschlicher Bestrebungen. Literaten im alten wie im modernen China hielten ihre Zusammenkünfte häufig in oder bei Bambushainen ab.
Die führende Gestalt der "Sieben Weisen", zumindest was die Fähigkeit zum Alkoholkonsum betrifft, war Liu Ling (劉伶), ein früherer Offizier. Enttäuscht von der politischen Korruption seiner Zeit, der Epoche der Spaltung Chinas, wählte er das Einsiedlerleben, um sich ganz seinen literarischen Interessen zu widmen.
Aber er war ein auf vielen Gelagen gestählter Trinker, und es ist überliefert, daß er in einem von einem Hirsch gezogenen Wagen durch das Land zu reisen und auf der Fahrt aus einer Kürbisflasche voll Wein zu trinken pflegte. An seiner Seite ging ein Diener mit einer Schaufel; wenn er gefragt wurde, warum, so antwortete Liu Ling: "Damit er mich eingraben kann, wenn ich tot umfalle."
Ein anderer Bericht bemerkt, daß Liu Ling die Gewohnheit hatte, exzessiv zu trinken, und, wenn er Besuch bekam, seine Gäste häufig splitternackt empfing. Wenn diese ihn lachend fragten, warum er in diesem Zustand sei, pflegte er zu antworten: "Himmel und Erde sind mein Haus, diese Hütte ist nur meine Hose. Was haben Sie, werte Herren, in meiner Hose zu suchen?"
Etwa zur gleichen Zeit wie Liu Ling lebte der Dichter T'ao Yüan-ming, dessen Werke eine tiefe Liebe zum Leben und zur Natur zum Ausdruck bringen, dargestellt in einfacher, schmuckloser Sprache, deren Schönheit im taoistischen Konzept des Nicht-Handelns wurzelt.
T'ao Yüan-ming, ursprünglich ein Beamter, fand ebenso wie Liu Ling die Anforderungen des bürokratischen Systems in China unerträglich; er gab seinen Posten auf und zog sich aufs Land zurück. Finanziell in einer ziemlich schwierigen Situation, konnte er aus seiner Landwirtschaft gerade genug Gewinn ziehen, um seine Familie zu ernähren, aber er hatte nun kein Geld mehr für seine größte Liebe, den Wein.
Wenn er trank, dann immer bis zur Betrunkenheit, so sagte man, und betrunken war er oft tagelang hintereinander. Doch seine Liebe zum Alkohol scheint sein Gefühl für Menschlichkeit nicht beeinträchtigt zu haben. Einmal, als es ihm finanziell etwas besser ging, stellte er einen Diener für seinen Sohn ein, der offensichtlich nicht mehr zu Hause wohnte. Doch bevor sein Sohn mit dem Diener davonging, wurde er von T'ao Yüan-ming ermahnt, den Mann gut zu behandeln, denn auch er sei schließlich "jemandes Sohn". T'ao Yüan-ming's humane Sichtweise hat seither Generationen von Chinesen bewegt.
Aus dem Goldenen Zeitalter der T'ang-Dynastie ist eine weitere Trinkergruppe überliefert. Unter den "Acht betrunkenen Unsterblichen" befand sich auch Li Po (李白), der sich selbst einen "Unsterblichen des Weines" nannte. Er wird allgemein als Chinas bedeutendster Dichter angesehen. Die folgende, sehr berühmte Geschichte illustriert sowohl Li Po's Liebe zum Wein als auch seine literarischen Fähigkeiten, wenn er unter dessen Einfluß stand:
Li Po hatte damals die Gewohnheit, in die Weinschenken von Ch'ang-an, der T'ang-Hauptstadt, zu gehen, und dort, wenn er sich gründlich hatte vollaufen lassen, am Tisch einzuschlafen. Aufgrund von Li Po's Berühmtheit als einer der größten Literaten Chinas machte natürlich keiner der Kneipenbesitzer Einwände.
Eines Tages wünschte Kaiser Hsüan-tsung (玄宗) einige Verse für ein Lied und erklärte, er wolle sie von niemand anderem geschrieben haben als von Li Po. Die Höflinge, die ausgeschickt wurden, um ihn zu holen, konnten ihn nirgendwo finden, bis ihnen jemand den Tip gab, er läge wahrscheinlich schlafend in irgendeiner seiner Lieblingskneipen. Und tatsächlich, sie fanden ihn, stockbetrunken und in tiefem Schlaf, in einer Weinschenke.
Die Höflinge verfrachteten Li Po in einen Wagen und brachten ihn zum Palast, doch als er vor das Angesicht des Kaisers gebracht wurde, war er immer noch nicht zu sich gekommen, und man mußte einen Eimer Wasser über ihn gießen. Als er nach und nach wach wurde, stellte er fest, daß er sich vor dem Kaiser befand, und geriet in Panik. Der Kaiser jedoch hatte großen Respekt vor Li Po und versicherte ihm, er brauche sich um die höfischen Formalitäten nicht zu kümmern - das einzige, was von ihm verlangt werde, seien Verse für ein Lied.
Augenblicklich legten ihm die Palasteunuchen Pinsel und Papier vor, und Li Po noch immer ziemlich betrunken, ergriff den Pinsel, um zu schreiben. Dann aber beschloß er, daß es ihm in seinen Schuhen zu unbequem war. Er streckte Kao Li-shih (高力士, der, was Li Po nicht wußte, einer der höchsten Minister des Kaisers war) einen Fuß entgegen und verlangte, er solle ihm die Schuhe ausziehen. Kao, der zwar zornrot wurde, aber nichts tun wollte, was den vom Kaiser erwünschten lyrischen Fluß behindern könnte, hatte keine andere Wahl als zu gehorchen. Nunmehr ohne Schuhe, vollendete Li Po rasch seinen Liedtext und übergab ihn dem Kaiser zur Begutachtung. Der Kaiser war hocherfreut und ließ die Verse augenblicklich in Musik setzen. Li Po hatte somit seine literarischen Fähigkeiten unter Alkoholeinfluß zur Genüge unter Beweis gestellt.
Literarische Treffen, bei denen das Weintrinken im Mittelpunkt stand, waren nicht auf bereits existierende Zirkel beschränkt, sondern konnten auch spontan sein - wann immer Literaten die Gelegenheit hatten, zusammenzukommen.
Der obenerwähnte Su Tung-p'o traf sich oft mit Mi Fei (米芾) und Ts'ai Hsiang (蔡襄), beide ebenfalls Kalligraphen und Gelehrte von hohen Graden. Aus ihren Schriften geht hervor, daß bei ihren Zusammenkünften reichlich Wein floß und viele ihrer besten Werke bei solchen Anlässen entstanden sind.
Die Literaten unterhielten sich bei solchen Gelegenheiten damit, Schriften zu verfassen und Bilder zu malen. Außerdem gab es eine Reihe von literarischen Trinkspielen, mit denen man sich zerstreute und die dafür sorgten, daß die Becher nie leer blieben. Bei den meisten solcher Spiele ging es darum, Verse zu machen oder Gedichte aus verschiedenen klassischen Zitaten zu verfassen. Ein Spieler, der passen mußte, hatte zur Strafe einen Becher Wein zu trinken. Bei solchen Spielen konnten die Gelehrten nicht nur mit ihren Kenntnissen der klassischen Schriften glänzen, sondern auch ihre poetischen Fertigkeiten üben.
Angesichts der Trinkfreude fast aller Gelehrten des alten China mag es so scheinen, als seien die meisten chinesischen Gelehrten Alkoholiker gewesen und der größte Teil der künstlerischen und literarischen Werke Chinas das Werk von Trinkern. Man mag es für zu viel des Guten halten, wenn über die Hälfte der Werke eines der größten chinesischen Poeten Chinas direkt oder indirekt vom Wein handelt. Um in dieser Sache klarer zu sehen, muß man zuerst ein bißchen über die politischen Zustände in der Geschichte Chinas und die Geisteshaltung der Dichter wissen.
In früheren Zeiten war Meinungsfreiheit in China selbst unter der Herrschaft eines für damalige Verhältnisse aufgeklärten Herrschers und unter einer relativ liberalen Verwaltung sehr eingeschränkt, und es konnte einen leicht den Kopf kosten, wenn man seine eigenen Ansichten in der Öffentlichkeit äußerte. Literarische Talente waren gut beraten, nicht über politische Angelegenheiten zu schreiben, sondern sich einem ungefährlicheren Thema zuzuwenden - nämlich der Natur.
Nicht daß die Mehrheit der chinesischen Gelehrten kein Interesse für Politik gehabt hätte: Zum Werdegang eines Gelehrten gehörte normalerweise eine Karriere in der Verwaltung oder der Regierung. Es gibt jedoch wenige brillante Köpfe unter den Gelehrten, die bis zur ihrer Pension ihm Amt blieben. Die meisten von ihnen fielen in Ungnade und wurden aus dem Amt gejagt oder - wenn sie klug genug waren - nahmen selbst voller Abscheu ihren Abschied.
In der Tat waren die politischen Karrieren der meisten Koryphäen der chinesischen Kunst und Literatur höchst unbefriedigend. Die einzigen Ventile für ihre politischen Frustrationen waren Chinas hoch aufragende Gebirge, Bambushaine, rauschende Ströme und der leuchtende Mond (von dem man glaubte, daß sein Licht hier so hell und klar sei wie sonst nirgendwo auf der Welt).
Hinzu kam, daß die Starrheit der traditionellen chinesischen Gesellschaft, deren soziales Leben von der Han-Dynastie an durch fast alle folgenden Epochen hindurch von einer übermäßig strengen Auslegung der konfuzianischen Ideen beherrscht wurde, jede Kreativität im Keim erstickte. Die konfuzianischen Ideen halfen dabei, die soziale Ordnung aufrechtzuerhalten, wenn sie vernünftig angewandt wurden. In der Kunst und der Literatur behinderten sie jedoch jegliche individuelle kreative Äußerung. Hier liegt die Ursache für die Bedeutung des Weines. Wein half den Gelehrten, sich zeitweise aus den Zwängen der Gesellschaft zu lösen und die täglichen Frustrationen im Amt zu vergessen. Er half ihnen, das flüchtige Glück kreativer Selbstdarstellung zu genießen, die in der Natur den idealen Gegenstand ihrer Äußerungen gefunden hatte.
Ein berühmter Schriftsteller aus der Sung-Zeit, Ou-yang Hsiu (歐陽修), erklärte: "Das Interesse des Trinkers gilt nicht dem Wein, sondern den Bergen und Flüssen." In der Tat fanden die meisten der berühmten literarischen Zusammenkünfte im Freien, inmitten der Natur statt. Der Wein erlaubte es den Anwesenden, sich selbst und eine unbefriedigende Realität zu vergessen. Darüber hinaus schärfte er den Blick für die Schönheiten der Umgebung und erleichterte es, diese direkt und kreativ in Kunstwerken zum Ausdruck zu bringen. Im allgemeinen war es in China nicht üblich, eigene Empfindungen zu äußern; erst wenn es unter dem Einfluß von Alkohol geschah, wurde es wohlwollend akzeptiert.
So ist es wenig überraschend, wenn Li Po erklärt: "Niemals bin ich so sehr ich selbst und so aufrichtig, als wenn ich betrunken bin." Die chinesischen Gelehrten benutzten den Wein als "Entschuldigung" für die Äußerungen ihres Selbst in Worten und Taten. Dieses Grundrecht hätten sie anders nicht ausüben können.
Wenn wir das literarische und künstlerische Erbe Chinas betrachten, so berührt uns auch heute noch seine Lebendigkeit, die so frisch und unverbraucht ist wie zu den Glanzzeiten künstlerischen Schaffens, und das Leben seiner herausragenden Vertreter ist nicht weniger bunt und vielfältig als ihre Werke.
Der tragische Tod Li Po's zum Beispiel (es wird berichtet, daß er ertrank, als er im Rausch die Spiegelung des Mondes auf dem Wasser eines Sees zu erhaschen versuchte), mag uns an die Flüchtigkeit und Gebrechlichkeit alles menschlichen Lebens im Angesicht der ehrfurchtgebietenden Schönheit der Natur erinnern. Das ist die Quintessenz dessen, was alle bedeutenden Werke der chinesischen Kunst und Malerei zum Ausdruck zu bringen versucht haben. Es ist keine Frage, daß der Wein bei der Entwicklung solch erhabener Visionen eine wichtige Rolle gespielt hat.
(Deutsch von Andreas Härdter und Klaus Gottheiner)